Flickenteppich Digitalisierung!
Das Bundesministerieum für Gesundheit will mit der im März 2023 angekündigten Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen und die Pflege die Handlungsspielräume für Therapieregime und integrierte Versorgungsmodelle erweitern1.

Um Gesetzesinitiativen und die Digitalisierungsstrategie in die Praxis umzusetzen, müssen vor allem einheitliche Kommunikationsstrukturen, Arbeitsplattformen und Kennzahlensysteme für alle Stakeholder vorliegen.

Bisher haben wir bei der Digitalisierung systemimmanente Schwächen in Deutschland. Einem vermehrten Einsatz stehen nicht beantwortete Fragen vor allem hinsichtlich der Wirksamkeit, Akzeptanz und nachhatiger Geschäftsmodelle und Finanzierungsfragen entgegen.

Dazu sind vor allem die organisatorische Zersplitterung, ungenügend abgestimmte Dienstleistungsprozesse sowie der als ungenügend empfundene Informationsaustausch zwischen Leistungserbringern, Kostenträgern und Betroffenen zu zählen.
1 GEMEINSAM DIGITAL: Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen und die Pflege, Bundesministerium für Gesundheit Abteilung 5; Digitalisierung und Innovation; Berlin, März 2023.

Krankenhäuser nutzen sehr unterschiedliche KIS Strukturen sowie Patientenportale für ein digitales Aufnahme- und Entlassmanagement. Entwicklung und Ausbau des TI-Messengers bis 2024.
Stationäre Pflegeeinrichtungen wollen digitale Pflegeanwendungen (DiPAs) nutzen und beim Spitzenverband Bund der Pflegekassen soll ein Kompetenzzentrum Digitalisierung und Pflege eingerichtet werden (§ 125b SGB XI).
Krankenkassen nutzen zum Teil die Telematikinfrastruktur (TI) der gematik, arbeiten aber auch an eigenen patientengeführten Digitalisierungsmodellen. Entwicklung und Ausbau des TI-Messengers.
Hilfsmittelleistungserbringer sollen bis zum 1.1.2024 an die Telematikinfrastruktur (TI) angebunden sein. Das Präqualifizierungsverfahren erfolgt weitgehend analog über Fax und Excel Tabellen.
Es fehlt an digitalisierten Prozessen.
Die neuen gesetzlichen Regelungen und Strategievorschläge werden einen weiteren Flickenteppich voneinander abgeschotteter Insellösungen schaffen, wenn nicht von Anfang an in integrierten und transsektoralen Prozessen gedacht wird.
Bisher beseitigen die gesetzlichen Regelungen das Grundproblem des deutschen Gesundheitswesens in Bezug auf die Digitalisierung nicht: den Zustand der IT-Infrastruktur innerhalb der Sektoren und Leistungserbringer sowie die Interaktion untereinander.
In Bayern wird am 15.03.2023 der Aufbau einer digitalen Pflegebörse mit € 292.873,55 gefördert. Das Bundesministerium für Gesundheit hat im Gesetzentwurf zum Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) vom 26.04.2023 ein bundesweites elektronisches Informationsportal für stationäre und ambulante Pflegeleistungen wieder gestrichen (§ 7d SGB XI).
Bei sechzehn Bundesländern können wir es uns nicht leisten, landeseigene Modelle zu fördern und aufzubauen. Tragfähig und nachhaltig ist einzig eine bundesweite Lösung.
Die Lösung.
Es muss ein durchgehender digitaler Informationsfluss zwischen Patienten, Leistungserbringern und Kostenträgern bundesweit erreicht werden.
Es dürfen keine landeseigenen Insellösungen gefördert und aufgebaut werden.
Mit der Digitalisierung sollen keine neuen Aktivitäten generiert, vielmehr sollen das etablierte Prozessmanagement beschleunigt, redundante Aktivitäten abgebaut und heilkundliche Kompetenzen gestärkt werden.
Wissenschaftliche Erkenntnisse sind zu generieren, ob und in welchem Ausmaß Potenziale ausgeschöpft und durch digitale Innovationen eine Effizienzsteigerung und Kostenreduktion durch gutes Prozessmanagement erreicht werden.

Datentreuhand im Hilfsmittelbereich
Es muss für das Präqualifizierungsverfahren ein bundesweit einheitliches Datentreuhandmodell1 entwickelt werden.
Dieses Modell sollte in Analogie zum geplanten § 7d SGB XI aufgebaut sein (bedarfsorientiertes Versorgungsmanagement durch ein Informationsportal zu Pflege- und Betreuungsangeboten) und zum Verzeichnisdienst (VZD) Hilfsmittelversorgung der gematik ausgebaut werden 2.
Datentreuhänder3 fungieren als neutraler Intermediär, die einen vertrauensvollen und fairen Ausgleich der Interessen der beteiligten Akteure – Datengeberinnen und -geber sowie Datennutzerinnen und -nutzer – ermöglichet.
Folgende Daten sollten im Treuhändermodell zur Verfügung gestellt werden:
- Versorgungsbereiche der Präqualifizierung
- Produktgruppen des Hilfsmittelverzeichniss
- Anzahl der Leistungserbringer nach Regionen (Stadt, Land)
- Erfüllungsaufwand je Scope
- Scopes der Präqualifizierung
- Qualitätsmanagement Systeme
- Anzahl fachliche Leiter
- Berufliche Qualifikationen
- Gesellschaftsform
- Barrierefreiheit, Barrierearmut
- Versorgungsbereiche außerhalb der Präqualifizierung (z.B. Arzneimttel)
Regionale Geo-Daten der Präqualifizierung liefern wichtige Informationen, um in Gesundheitsregionen die Angebotsstruktur der Leistungserbringer zu ermitteln4.
Die Gesundheitswirtschaft kann mit diesen Daten strategische Entscheidungen treffen, Versorgungsprozesse optimieren oder neue Dienstleistungen entwickeln.
Mit der Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen will das Bundesministerium für Gesundheit digital unterstützte und integrierte Versorgungspfade bei digitalisierten Disease-Management-Programmen (dDMP) kurzfristig umsetzen.
Digital unterstützte und integrierte Versorgungspfade beim Disease-Management-Programm Diabetes müssen den Anfang machen 5,6.
1 Datentreuhand ist eine natürliche oder juristische Person oder eine Personengesellschaft, die den Zugang zu von Datentreugebern bereitgestellten oder bereitgehaltenen Daten nach vertraglich vereinbarten oder gesetzlich vorgegebenen Daten-Governance-Regelungen (auch) im Fremdinteresse mittelt. Vgl.: Specht-Riemenschneider L., Blankertz A.: Neue Modelle ermöglichen Regulierung für Datentreuhänder, GRÜNE ORDNUNGSPOLITIK Nr. 16, Berlin, Juli 2021.
2 Der Verzeichnisdienst (VZD) der gematik ist ein zentraler Dienst der Telematikinfrastruktur (TI). Der VZD ist das sichere Adressbuch der TI – quasi eine Art „Gelbe Seiten“. Er ist der zentrale Speicherort für Zertifikate und Basisdaten wie z.B. Adressdaten von Ärzten, Apothekern, Psychotherapeuten und Heilberuflern. Zudem werden die Fachdaten der verschiedenen Anwendungen der gematik über den VZD verwaltet. Die Datensätze werden stündlich aktualisiert. gematik GmbH, Berlin, März 2023.
3 Eine Datentreuhandstelle ist mit der Aufgabe betraut, einen standardisierten Zugang zu (anonymisierten) Daten für zugelassene Stellen zu entwickeln und umzusetzen. Außerdem würde diese Stelle beispielsweise Forschenden hinsichtlich rechtlicher Fragen Hilfestellungen geben. Vgl.: SACHVERSTÄNDIGENRAT zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR): Digitalisierung für Gesundheit Ziele und Rahmenbedingungen eines dynamisch lernenden Gesundheitssystems, Berlin, 2021, S. 332.
4 Vgl.: Müller B., Leiferman M., Wilke D., Gerlach F., Erler A.: Innovative Versorgungsmodelle in Deutschland – Erfolgsfaktoren, Barrieren und Übertragbarkeit, Versorgungsforschung, Volume 115, P56-62, Oktober 2016.
5 Bade T.: Comprehensive Outcome Assessment in a shared care model and Budget Impact Analysis of therapeutic appliances for patients with diabetic foot disease: 2013; Academia.edu, San Francisco, CA 94104.
6 Eckhard M., Lawall H., Lobmann R.: Diabetisches Fußsyndrom - Beeutung einer interprofessionellen transsektoralen Behandlung, Deutsche Diabetes Gesellschaft (Hrsg.), Deutscher Gesundheitsbericht - Diabetes 2023, ISSN 1614-824X, Mainz, 14.11.2022, 108-116.